Im Rahmen unseres vom DAAD geförderten kooperativen Lehrforschungsprojektes mit der Waseda-Universität reiste eine Gruppe von drei Studierenden und drei Lehrenden des Japan-Zentrums Ende September 2022 für zehn Tage nach Tokyo. Der Titel des Forschungsprojekts lautete „Remembering the War – How Museums and Memorials Resonate with the Youth in Tokyo and Munich“. Auf der Suche nach Erinnerungsnarrativen an den Zweiten Weltkrieg besichtigten wir eine Reihe von Museen, von denen wir einige in dieser Blogreihe vorstellen möchten. Wir folgen dabei der Reihenfolge der Besichtigungen. Der zweite Bericht über das Yūshūkan-Museum ist von Giuliano Araiza.
Das Yūshūkan-Museum zählt gewiss zu jenen Museen in Japan, denen ihr Ruf am meisten vorauseilt. In Vorlesungen im Japanologiestudium kommt es beispielsweise besonders oft dann auf, wenn es um Kontroversen bezüglich des Yasukuni-Schreins oder Geschichtsrevisionismus im Generellen geht. Nicht zuletzt deshalb war es besonders interessant, die Gelegenheit zu bekommen, das Museum aus erster Hand zu erfahren und analysieren zu können.
Das Gebäude des Yūshūkan befindet sich direkt neben dem Yasukuni-Schrein. Errichtet wurde es 1882 und ist damit das älteste Militärmuseum Japans. Da der Schrein in der Nachkriegszeit zu seiner finanziellen Unterstützung auf die Vermietung des Yūshūkan-Gebäudes angewiesen war, gab es in dieser Phase eine Unterbrechung im Betrieb. Seit der Mitte der 1980er-Jahre ist das Museum aber wieder zu seinem ursprünglichen Zweck zurückgekehrt. Auch heute steht das Yūshūkan in enger Verbindung zum Yasukuni-Schrein, was sich zum Beispiel daran erkennen lässt, dass es mit Finanzmitteln des Schreins betrieben wird.
Die Ausstellung des Yūshūkan lässt sich grob in fünf Teile gliedern: nach einem Einführungsbereich, der gewissermaßen Grundkenntnisse über das „Wesen“ des japanischen Militärs vermitteln soll, durchläuft man Abschnitte, die sich jeweils den Zeiträumen des Boshin-Krieges und der Meiji Restauration, anschließend des Ersten sino-japanischen Krieges und dem Beginn der japanischen Kolonialpolitik, und zuletzt des Zweiten Weltkriegs widmen. Im Anschluss an den „informationslastigen“ Teil gelten die weiteren Ausstellungsräume in erster Linie dem Andenken an gefallene Kriegsveteranen.
Zunächst gibt es eine Filmvorführung, der die Geschichte des Yasukuni-Schreines präsentiert. Eine der Hauptaussagen dieser Präsentation ist, dass der Schrein ein Ort sei, an dem verschiedenste Formen gelebter japanischer Kultur präsent sind: Seien es Sumo-Kämpfe, Aufführungen aus dem Noh-Theater oder die Ausstellung von Skulpturen, deren Holz aus allen 47 Präfekturen des Landes stammt. Hier wird die Grundlage konstruiert, dass der Yasukuni-Schrein — und damit implizit auch alles, wofür er steht — ein Symbol für die gegenwärtige japanische Nation an sich sei. Der anschließende Raum stellt dar, welche Haltung das Museum dem Militär gegenüber einnimmt. Wie bereits erwähnt, wird dabei versucht, das „Wesen“ der japanischen Perspektive zur Kriegsführung zu vermitteln. Dies geschieht anhand des Idealbildes des Samurai, der — so die Ausstellung — in der Kriegsführung immer nur das Ziel habe, Frieden zu schaffen. Dieses Motiv lässt sich in den späteren Einordnungen, insbesondere zur japanischen Kolonialpolitik, immer wieder finden, es wird also eine direkte Linie von diesen (vermeintlich) traditionellen Werten hin zu moderneren Formen des Militärs gezogen. In der Einordnung des Boshin-Kriegs (1868-69) — zu dessen Gedenken der Yasukuni-Schrein ursprünglich errichtet wurde — ist besonders auffällig, dass bereits auf der ersten Ausstellungstafel verdeutlicht wird, dass alle anderen Länder eine direkte und unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit Japans seien. Diese Ausgangslage und demzufolge auch die Behauptung, dass jede Handlung von japanischer Seite im Grunde genommen als eine unausweichliche Reaktion auf internationalen Druck zu verstehen sei, bleibt ein wiederkehrendes Element im Rest der Ausstellung. Darüber hinaus wird in diesem Bereich betont, dass die Kriegsmärtyrer des Boshin-Krieges die Säulen seien, auf denen das moderne Japan noch heute steht und eine anhaltende Nähe des Kaiserhauses zum Yasukuni-Schrein propagiert, die in Anbetracht der Tatsache, dass Mitglieder der Kaiserfamilie den Schrein bereits seit über 40 Jahren nicht mehr persönlich besuchen, verwundert.
In der Darstellung des Übergangs vom Bürgerkrieg hin zu internationalen Kriegen wird unmittelbar deutlich, wie unterschiedlich das Museum japanische und ausländische Handlungen jeder Art bewertet und kommuniziert. So werden Aktionen von japanischer Seite stets passiv beschrieben, indem man beispielsweise japanische Kriegsmanöver als „Vorfälle“ beschreibt. Auch hier wird wiederholt betont, dass es ausländische Mächte waren, die Japan keine andere Wahl gelassen hätten als zu handeln. Auf der anderen Seite lässt sich das genaue Gegenteil beobachten, insbesondere klar erkennbar an der Bewertung Koreas und Chinas. So steht die gesamte Thematik um Korea beispielsweise unter der Überschrift „das koreanische Problem“ und chinesische Protestbewegungen werden lediglich darauf reduziert, nationalistisch und anti-japanisch gewesen zu sein. Darüber hinaus finden sich häufige Beschreibungen darüber, wie hinterhältig — und somit zuwider zum vorher propagierten Samurai-Ethos — chinesische Truppen gegen die japanische Besatzungsmacht gekämpft hätten und dass die japanische Kolonialpolitik allem voran zu einer Modernisierung unterentwickelter Nationen geführt habe.
Diese Perspektive setzt sich auch bei der Einordnung des Zweiten Weltkrieges fort. Erneut werden japanische Handlungen als unausweichlich charakterisiert. So war es zum Beispiel selbstverständlich, Ressourcen aus den Kolonien zu ziehen, schließlich wurden sie gebraucht. Das Motiv des friedensorientierten Samurai findet sich auch hier erneut. So werden Schritte der japanischen Kriegsführung dieser Zeit damit angeführt, dass die jeweilige Aktion eigentlich den Zweck hatte, endlich Frieden zu schaffen. Es wird somit das Bild einer Nation gezeichnet, die auf der Suche nach dem Frieden unabsichtlich immer tiefer in den Krieg rutschte. Wenn Friedensverhandlungen scheiterten, waren allem voran übertriebene Forderungen der Vereinigten Staaten daran schuld. Dies vermittelt erneut den Eindruck, dass nicht Japan, sondern das Ausland die Verantwortung der Entwicklung des Krieges trägt. Statt sich etwa mit der eigenen Schuldfrage auseinanderzusetzen, bleibt die japanische Kolonialpolitik bis zum Ende durchweg positiv bewertet, was sich gut daran verdeutlichen lässt, dass der letzte Text des Museums — in einer Art Schlussfazit — die Entwicklungen asiatischer Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt und dabei zu dem Ergebnis kommt, dass spätere Unabhängigkeitsbewegungen dieser Regionen gegen den Westen seinen Ursprung in den Werten habe, die seinerzeit durch die japanische Kolonialmacht vermittelt worden seien.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Yūshūkan vor allem dadurch hervorsticht, wie auffällig revisionistisch es in seiner positiven Einordnung der japanischen Kriegsgeschichte vorgeht. Während Orte, wie beispielsweise das Showakan-Museum (National Showa Memorial Museum, Chiyoda-ku Tokyo), den Krieg durch das Auslassen von Kontext und Details verharmlosen, wird im Yūshūkan deutlich, dass die Thematik durch eine pro-militaristische Linse betrachtet und anstelle von Kritik eine Glorifizierung des japanischen Kaiserreichs stattfindet.
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