Im zweiten Projektjahr unseres vom DAAD geförderten kooperativen Lehrforschungsprojektes in Kooperation mit der Waseda-Universität reiste Ende September 2023 eine Gruppe von diesmal zwei Studierenden und zwei Lehrenden des Japan-Zentrums für zehn Tage nach Tokyo. Der Titel des Forschungsprojekts ist „Remembering the War – How Museums and Memorials Resonate with the Youth in Tokyo and Munich“. In diesem Jahr besichtigten wir eine Reihe von Museen, untersuchten japanische Schulbücher auf ihre Darstellung der Geschichte, nahmen an Lehrveranstaltungen an der Waseda-Universität teil und diskutierten die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Kriegsgeschichte in Deutschland und Japan. Die Inhalte und einige Erkenntnisse dieser Forschungsreise möchten wir in diesem Reisebericht teilen.
Sowohl die deutsche als auch die japanische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist untrennbar mit dem Schrecken des Krieges und der daraus resultierenden Verantwortung verbunden. In Deutschland ist die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg, der deutschen Kriegsschuld und dem Wert der Demokratie allgegenwärtig – egal ob in der Schule, in Museen oder in zahlreichen öffentlichen Medien. Doch wie wird dieses dunkle Kapitel der Geschichte in Japan behandelt und wie gehen Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland und Japan jeweils mit den Themen Krieg, Frieden, Schuld aber auch Demokratie um? Im Rahmen unserer Forschungsreise versuchten wir diese Frage aus verschiedenen Blickwinkeln – durch Museumsbesuche, Bibliotheksarbeit, Interviews und Teilnahmen an Lehrveranstaltungen – zu untersuchen.
Museumsbesuche
Eine unserer ersten Aktivitäten war der Besuch des Women’s Active Museum on War and Peace (wam) in Shinjuku-ku, Tokyo. Obwohl die Ausstellung dieses Museums relativ klein ist, war der Inhalt und Aufbau, vor allem zur Thematik der „Trostfrauen“ bzw. 慰安婦 ianfu, sehr beeindruckend und regte zum Nachdenken an. Besonders eindrucksvoll waren Karten, die das Ausmaß des Systems der sog. „Troststationen“ bzw. der Kriegsbordelle, die im gesamten Pazifikraum errichtet wurden, darstellten. Auch die Geschichten einzelner Frauen, die Opfer dieses Systems wurden und nach dem Ende des Krieges bis zu ihrem Tod für die Gerechtigkeit aller Opfer kämpften, waren bewegend. Die Geschichten von Tätern – Männern, die sich trotz ihrer unentschuldbaren Straftaten durch Aktivismus und Schuldbekenntnisse für ehemalige Trostfrauen einsetzten – waren für uns ebenfalls neu und interessant. Nach einer Führung durch die Ausstellung, geleitet von der Kuratorin des Museums, Mina Watanabe, hatten wir noch die Chance ein Interview mit ihr zu führen. Wir sprachen mit ihr unter anderem über die Gestaltung von Schulbüchern für den Geschichtsunterricht und die Art und Weise, wie viele Verlage Informationen zu den Trostfrauen oder Kriegsschuld vollkommen unbeachtet lassen bzw. nur in kurzen Sätzen zur Sprache bringen. Zu unserem Erstaunen erwähnte Frau Watanabe jedoch, dass auch junge Menschen aus eigenem Interesse nach Informationen zu dem Thema „Trostfrauen“ suchten und das wam besichtigten.
Ein weiteres Museum, das wir während der Reise besuchten, war ebenfalls ein privat organisiertes Museum: Das Center of the Tokyo Raids and War Damage, in Koto-shi, Tokyo. Obwohl auch dieses privat organisiert und deshalb relativ klein ist, zog sich die Ausstellung über zwei Stockwerke. Im unteren Teil der Ausstellung gab es einige Informationstexte, die den Schrecken von Krieg, insbesondere von Luftangriffen darstellten und dabei zum Weltfrieden aufriefen. Dabei fiel auf, dass Japan nicht nur in der Opferrolle dargestellt wurde, sondern auch die japanischen Luftangriffe während des Pazifikkrieges in die Darstellung eingearbeitet wurden. Jedoch gab es immer wieder Auslassungen – so fehlte z.B. der Angriff auf Pearl Harbor 1941. Die Art und Weise, wie die Ausstellung aufgebaut ist, war in unserer Wahrnehmung vor allem an Kinder und Jugendliche gerichtet, da die Inhalte meist in einfacheren, kürzeren Sätzen und mit vielen Beispielen, die vor allem das Leid der Kinder in der Kriegszeit aufgriffen, vermittelt wurden. Es gab auch Filme und Videos, die im Format „Großvater erzählt Enkeln aus der Vergangenheit“ gehalten waren. Im zweiten Stockwerk des Museums gab es einige Exponate rund um das Thema Luftangriffe – von Schutzausrüstung, Briefen von Kindern, Alltagsgegenständen bis hin zu Waffen und Erläuterungen zum Aufbau der damals abgeworfenen Fliegerbomben. Begleitet waren die Exponate mit einer chronologischen Darstellung der Tage der Luftangriffe auf Tokyo während des Zweiten Weltkrieges in Form von Texten und Bildern. Am Ende gab es noch einen Raum, der der mündlichen Geschichtserzählung gewidmet war, in welchem Filme und Videos von Zeitzeugen zu sehen waren, die die Geschichte zu einigen Exponaten erklärten. So beispielsweise die Geschichte rund um den ausgestellten Kimono eines Kindes, das während der Evakuierung starb. Vom Eingang bis in den letzten Raum des Museums, wurde vor allem der Wunsch nach Frieden deutlich. Besonders interessant fanden wir außerdem, dass im Shop des Museums einige Bücher zu Themen wie der Bewegung der Weißen Rose oder das Tagebuch der Anne Frank auf Japanisch zum Verkauf angeboten wurden.
Unser dritter Museumsbesuch war das Nationalmuseum der japanischen Geschichte (国立歴史民俗博物館 Kokuritsu Rekishi Minzoku Hakubutsukan) in Sakura-shi, Präfektur Chiba. Das 1981 gegründete Museum beeindruckte uns vor allem mit seiner Größe und dem Umfang der verschiedenen Ausstellungsbereiche. Nachdem wir enthusiastisch mit dem ersten Teil der Ausstellung zur Vorgeschichte bis zur Antike Japans begonnen hatten, merkten wir schnell, dass das Museum zu groß war, um es an einem Tag in seiner Gänze zu erfassen und so machten wir uns auf den Weg zur Ausstellung der Moderne. Die Ausstellung mit dem Titel „Krieg und Frieden“ begann mit klaren Worten zu Japans Rolle im Pazifikkrieg und Zweiten Weltkrieg und formulierte ebenfalls klar, dass Japan sowohl seine eigenen Bürgerinnen und Bürger als auch die vieler anderer Ethnien und asiatischer Staaten für seine imperialistischen Zwecke opferte. Jedoch war die Ausstellung, die auf diese starken Eingangsworte folgte, relativ klein und beschränkte sich vor allem auf das Leben der Soldaten und der Zivilbevölkerung und zeigte einige Exponate amerikanischer Propaganda. Die japanische Mobilmachung, die japanische Propaganda und auch Angriffe kamen nur wenig bis gar nicht vor. Die Leiden der Bevölkerung Okinawas, die Opfer der Atombombenangriffe in Nagasaki und Hiroshima und die Forderung nach Frieden bekamen hingegen größere Flächen der Ausstellung. Danach gab es noch einen größeren Teil zum alltäglichen Leben unter der amerikanischen Besatzung und Demokratie, dem Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit und der neuen Mittelklassen- und Konsumgesellschaft. Im Vergleich zu den Ausstellungsräumen zur Prähistorie und Antike war die Ausstellung zur Moderne übersichtlich gehalten und ging bei, wie wir fanden, wichtigen geschichtlichen Themen zu wenig in die Tiefe.
Es war aufschlussreich zu sehen, wie sich kleinere private und große öffentliche Museen in ihrer Darstellung der Geschichte unterscheiden. Besonders interessant war dabei, welche Teile der Geschichte ausgelassen wurden, je nach Hintergrund des jeweiligen Museums. Gerade der Besuch im wam und der persönliche Einsatz der Leiterin für Frauenrechte waren sehr eindrucksvoll und regten zum Nachdenken an.
Bibliotheksrecherche und Unterrichtsbesuche
Neben den sehr eindrucksvollen Museumsbesuchen widmeten wir uns Recherchen in der Bibliothek des Instituts für Erziehungswissenschaften der Waseda-Universität. In der Bibliothek nahmen wir Geschichtsschulbücher für die Mittel- und Oberschule verschiedener Verlage, die zwischen 2003 und 2021 herausgegeben wurden, unter die Lupe. Dabei untersuchten wir die Darstellung der japanischen Geschichte ab etwa Meiji (1868) bis zur Nachkriegszeit und es interessierten uns allen voran folgende Fragen: Was wird über den Pazifikkrieg, den Zweiten Weltkrieg und vor allem die japanische Kriegsschuld bzw. -verbrechen gelehrt oder ausgelassen? Werden die Schülerinnen und Schüler zum eigenen Nachdenken und Diskutieren angeregt und welche Werte werden für die Zukunft vermittelt? Dabei fiel uns nach den vorherigen Museumsbesuchen insbesondere auf, dass Themen wie die Trostfrauen in 90% der Bücher komplett fehlten und in den restlichen 10% nur in ein bis zwei kurzen Sätzen erwähnt wurden. Auffällig war, dass Japan, im Gegensatz zu Deutschland und den USA, in der japanischen Geschichtsschreibung häufig eher passiv reagierend und kaum als Akteur dargestellt wurde. Zudem entdeckten wir, dass Arbeitsaufgaben in den Lehrbüchern eher banale Fakten abfragten, wie z.B. „Nenne die Sitzreihenfolge beim Abschluss des Versailler Vertrags“, anstatt die Schülerinnen und Schüler zum eigenen Nachdenken zu animieren, wie das z.B. in deutschen Schulbüchern oft der Fall ist.
Die Eindrücke unserer Bibliotheksarbeit wurden durch Besuche mehrerer Lehrveranstaltungen von Prof. Dr. Takahiro Kondo verstärkt. Im ersten Seminar hielten wir zunächst selbst eine kurze Präsentation zum Wandel des Geschichtsunterrichtes in Deutschland von der Vorkriegszeit bis heute. Anschließend gab es eine Präsentation von drei Studierenden der Waseda-Universität zu Veränderungen des japanischen Geschichtsunterrichtes mit Fokus auf Geschichtslehrbücher. In einer gemeinsamen Diskussion kamen anschließend einige interessante Punkte zur Sprache, wie z.B. der Wunsch einiger japanischer Studierender nach mehr Diskussionsmöglichkeiten untereinander und mit Lehrpersonen, sowie mehr Austausch zu verschiedenen, teils heiklen Themen wie etwa Wahlen und politischen Ansichten. Auch gab es interessante Fragen an unsere Gruppe, wie z.B. zur Haltung der deutschen Bürgerinnen und Bürger zur deutschen Verfassung, und ob sich die Deutschen mit dieser identifizieren könnten, da dies in Japan mit der „von den Amerikanern auferlegten“ Verfassung oft nicht der Fall sei. Dieses und auch das nächste Seminar regten mit verschiedenen Meldungen und Fragen zum Nachdenken an und ergänzten unsere Untersuchung der Schulbücher und unsere Eindrücke der Museumsbesuche.
Die letzte Lehrveranstaltung, die wir besuchten, war eine Vorlesung, die Dr. Yumiko Murata des Japan-Zentrums als Gastdozentin hielt. Dr. Murata stellte dabei die Japanologie in München und die Inhalte des Sprachunterrichts des fünften Semesters vor, in welchem die japanische Sprache anhand bekannter geschichtlicher Ereignisse Deutschlands vermittelt wird. Dabei stellte sie auch die Ergebnisse einer Umfrage unter Studierenden des Japan-Zentrums vor, in welcher sie Studierende u.a. zum Thema Frieden und, ob ihrer Meinung nach Deutschland ein friedvolles Land sei, befragte. Die gleichen Fragen stellte sie anschließend den japanischen Studierenden. Während sich einige Ergebnisse ähnelten, gab es zum Teil starke Unterschiede in der Art und Weise, wie die japanischen und deutschen Studierenden über ihr jeweiliges Land dachten. Gerade die Antworten auf die Frage zum friedvollen Land und der Begründung dazu fanden wir besonders interessant, da sich die Ansichten der japanischen und deutschen Studierenden hier teilweise stark unterschieden. Ein Beispiel hierfür ist, dass für die Mehrheit der befragten japanischen Studierenden ein friedvolles Land allein durch die Absenz von Krieg gegeben war, während die deutschen Studierenden in Bezug auf Frieden häufig noch weitere Punkte, wie z.B. die aktuelle Parteienlandschaft und Themen wie LGBTQ, berücksichtigten.
Aus der Perspektive deutscher Studentinnen, die deutsche Schulen besuchten, war der Austausch mit den Studierenden der Waseda-Universität sehr wertvoll und zeigte uns neue Blickwinkel zu unserem Forschungsthema auf. Die Forschungsreise hat uns dadurch aus vielen verschiedenen Richtungen und durch verschiedene Medien Einblicke in die Themen Erinnerungskultur und Umgang mit der eigenen (Kriegs-)vergangenheit gegeben, die nicht nur persönlich bereichernd waren und uns anregten, unsere eigenen Werte und Sichtweisen zu reflektieren, sondern darüber hinaus einiges an Material boten, das es nun zu verarbeiten gilt.
Lucy Klostermeier und Daphne Pastović
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Blogbeiträge zur Forschungsreise nach Tokyo 2022:
Paul Kramer: Die Ichigaya-Gedenkstätte
Giuliano Araiza: Das Yushûkan-Museum
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