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Blog des Japan-Zentrums
21. Juni 202221. Februar 2023

Die Rolle der kataribe bei der Erinnerung an den 11. März 2011 – Teil I

Paul Johann Kramer & Dr. Anna Wiemann

Auch über zehn Jahre nach dem 11. März 2011 ist die Dreifachkatastrophe des Erdbebens, der Tsunami und der Nuklearkatastrophe in Fukushima tief im Bewusstsein der Bewohner Nordost-Japans (Tōhoku) verankert. In Folge des Erdbebens und der Tsunami wurden ca. 122.000 Häuser zerstört, etwa 20.000 Menschen in den Präfekturen Iwate, Miyagi und Fukushima verloren ihr Leben und weitere ca. 2.500 gelten immer noch als vermisst (Reconstruction Agency 2021).

Doch wie verarbeiten die Bewohner der betroffenen Regionen, die von einem Moment auf den anderen nicht nur ihr bisheriges alltägliches Leben, sondern auch ihr zu Hause oder sogar ihre Liebsten verloren, dieses Ereignis?

Wie bereits an anderer Stelle auf diesem Blog berichtet wurde, sahen sich die Bewohner der Region Minami-Sanriku in Folge der Katastrophe mit vielen unterschiedlichen Hürden konfrontiert. Sie erzählten von den Schwierigkeiten bei der Verteilung und Unterbringung der Überlebenden in Notunterkünften und den dortigen Konflikten, sowie den Sorgen um ihre eigene Zukunft und die der Region.

    

Abbildung. Minami-Sanriku, Ortsteil Shizugawa im März 2011 und März 2020 (Reconstruction Agency (2022): Sora kara miru fukkō [Der Wiederaufbau vom Himmel aus gesehen]. (03.01.2022)).

Im Zuge der Aufarbeitung der Zerstörung der Küstenregionen durch die Mega-Tsunami haben sich an einigen Orten in Tōhoku Menschen dazu entschieden, ihre Erlebnisse als „Geschichtenerzähler*innen“, jp. kataribe, zu teilen. Regionale Geschichtenerzähler*innen, haben in Japan eine lange Tradition (vgl. z.B. Fulco 2022). Kataribe in Tōhoku berichten Besucherinnen und Besuchern heute von den Geschehnissen des 11. März und geben somit die Erinnerung an die Katastrophe, den mühsamen Wiederaufbau, aber auch die Resilienz der Region weiter.

Der Begriff kataribe wird zwar als „Erzähler*in“ übersetzt, bedeutet jedoch weit mehr als das. Kataribe sind Geschichtenerzähler*innen und Zeitzeug*innen. Das Konzept der kataribe ist bereits seit mehreren Jahrhunderten in der japanischen Gesellschaft verankert: zunächst als Geschichtenerzähler*innen, die Mythen und Sagen in der Bevölkerung verbreiteten und seit dem Zweiten Weltkrieg insbesondere als erinnernde und mahnende Zeitzeug*innen. Kataribe erzeugen und festigen ein Erinnerungsnarrativ an bestimmte Ereignisse in ihrem regionalen geschichtlichen Kontext.

Erinnerung und Gedächtnis

Erinnerung entsteht in einem kommunikativen und somit in einem sozialen Prozess. Maurice Halbwachs, ein Gründungsvater der Gedächtnisforschung, weist deshalb daraufhin, dass individuelle Erinnerung untrennbar mit der sozialen Erinnerung, d.h. mit der Erinnerung der Gruppe, verbunden ist (Halbwachs 1985). Auch Aleida Assmann (2006: 28) schreibt, dass Gedächtnis in „Teamarbeit konstruiert“ wird. Auf dieser Basis unterscheidet sie individuelle, soziale und kollektive Gedächtnisse.

Um die Unterschiede der drei Gedächtnisformen zu verdeutlichen, soll an dieser Stelle eine Erinnerung im kollektiven Gedächtnis der deutschen Lesenden herangezogen werden: Der Zweite Weltkrieg.

Die noch wenigen verbliebenen Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges sind die letzten Personen, die noch individuell-episodische Erinnerungen an die damaligen Geschehnisse besitzen. Diese individuellen Erinnerungen sind mit den Erinnerungen Anderer vernetzt. Das bedeutet, dass sie keineswegs privat sind, sondern sich erst durch die Anschlussfähigkeit an die Erzählungen Anderer festigen. Sie sind also an die Erinnerungsstruktur einer Gruppe geknüpft.

Viele dieser individuell-sozialen Geschichten sind im Rahmen der Familie auch an die Kinder und Enkelkinder der Zeitzeugen übergeben worden. Durch diesen kommunikativen Prozess hat sich die individuell-soziale Erinnerung der Zeitzeugen in eine soziale Erinnerung verwandelt, welche von den Enkelkindern zwar nicht erlebt wurde, aber aufgrund der Erzählungen der Großeltern gleichermaßen im Familiengedächtnis geteilt werden kann.

Der Begriff der kollektiven Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg geht noch darüber hinaus. Kollektive Erinnerung bezeichnet die Institutionalisierung der Erinnerung in bspw. schulischem Unterricht, Museen und Gedenktagen. Das kollektive Gedächtnis ist somit meist auf außerkörperlichen Gegenständen gespeichert.

Doch wie ist die Erinnerung an die Katastrophe des 11. März in das kollektive Gedächtnis Tōhokus und Japans eingegangen? Und welche Rolle spielen dabei die kataribe, die als Zeitzeug*innen und Mahner*innen an die Geschehnisse des 11. März erinnern?

Mehr als nur Fachsprache

Im Rahmen des Masterkurses „Fachsprache Gesellschaft“, dessen Ziel die Verbindung der Sprach-, Lese- und Übersetzungspraxis mit fachlichem Japanwissen aus dem Bereich Kultur und Gesellschaft ist, beschäftigten wir uns mit der Erinnerung an den 11. März 2011.

Mit der Dozentin Dr. Anna Wiemann erarbeiteten wir die Grundlagen der wissenschaftlichen Betrachtung von „Erinnerung“ und „Gedächtnis“, sowie methodisches Fachwissen zur Durchführung und Analyse qualitativer Interviews. Dieses Wissen wendeten wir in einem japanischsprachigen Interview mit zwei kataribe und zwei Organisatoren eines kataribe Netzwerks in Tōhoku an. Die Organisation des live Zoom-Interviews wurde unterstützt von Dr. Julia Gerster von der Tōhoku-Universität.

Anschließend transkribierten und analysierten wir das Gruppeninterview. Die ersten vorläufigen Ergebnisse wurden von zwei Studierenden (Hannes Zankl, Paul Johann Kramer) am 14. Januar 2022 im Rahmen des gemeinsamen Vortrages „Art and Voice in the Memorialization of 3.11“ mit Dr. Fuyubi Nakamura (UBC), Dr. Julia Gerster und Dr. Anna Wiemann vorgestellt.

Was wir im Interview mit den kataribe lernten, posten wir in Teil II …😊

Literatur

Assmann, Aleida (2006): Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München: C.H. Beck.

Fulco, Flavia (2022): Kataribe. Ten years of post-disaster storytelling in Tōhoku. Japan Anthropology Workshop https://japananthropologyworkshop.org/kataribe-ten-years-of-post-disaster-storytelling-in-tohoku/ (08.06.2022).

Halbwachs, Maurice (1985 [1925]): Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Berlin: Suhrkamp.

Kuckartz, Udo (2018)Basel: Beltz.

Reconstruction Agency (2021): Status of Reconstruction and Reconstruction Efforts. https://www.reconstruction.go.jp/english/topics/Progress_to_date/20211001_genjoutotorikumi_English.pdf (12.11.2021).

Kommende Veranstaltungen

Mai 15
18:15 - 19:45

Vortrag von Dr. Shohei Saito: „Connecting Siberia with the West: A.V. Baikalov’s Thoughts on the Cooperative Movement and the Northern Sea Route“

Mai 22
18:15 - 19:45

Vortrag von Prof. Aeneas Zi Wang, Ph.D.: „Defining skills in the context of nation-building and talent competition: An analysis of Chinese skilled immigration policies and implications for comparative migration studies“

Mai 27
18:00 - 20:00

Masterstudiengang Japanologie: Informationsveranstaltung für Bachelor-Absolvent*innen am 27.05.2025

Juni 17
16:00 - 18:00

Vortrag von Masahiro Maeda (Associate Professor): „Restoring rich interactions between people and the environment in cities: based on trends in ‚machizukuri‘ and community revitalization in Japan“

Juni 26
18:15 - 19:45

Vortrag von Prof. Dr. David Chiavacci: „‚Foreigners Are Committing Very Heinous Crimes‘: Framing of Deviance and Order in Japan’s Immigration Policy“

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